10 Uhr an einem regnerischen Herbsttag in der Dompfarre am Stephansplatz 3: Vier Leute sitzen rund um einen großen Tisch, nur ein Uhrticken ist in dem dämmrigen Raum zu hören. Am Kopfende sitzt Dompfarrer Toni Faber im dunklen Anzug und blättert in der aktuellen Ausgabe des Pfarrblatts der Dompfarre, während das Redaktionsteam die Rubriken der kommenden Ausgabe festlegt. Durch die Nähe zu Weihnachten steht das nächste Pfarrblatt ganz im Zeichen der Wünsche. „Ich möchte auch den letzten Wunsch am Ende des Lebens berücksichtigen: den Wunsch nach Erlösung“, überlegt Toni Faber. „Gerade die Rückmeldungen von Menschen, die Abschied nehmen, und ihren Angehörigen, die sich mitgetragen fühlen, geben mir wahnsinnige Kraft.
Positiv, wenn man einer Hundertjährigen etwas Schönes nachruft
Rund siebzig Begräbnisse werden pro Jahr vom Dompfarrer durchgeführt, der auch der Stunde des Abschieds etwas Positives abgewinnen kann. „Es gibt auch schöne Begräbnisse, etwa wenn man einer Hundertjährigen etwas Schönes nachrufen kann. Wie das Begräbnis von Kardinal König. Er ist mit 98 gestorben und ich habe die Beerdigung bereits zwanzig Jahre vorher vorbereitet. Wenn ich viele Gesellenstücke abgelegt habe, war das Begräbnis vom Kardinal König das Meisterprüfungsstück“, sinniert Faber und wirft einen Blick auf die Regentropfen am Fenster. „Heute habe ich noch eine Segnung am Cobenzl und Petrus lässt’s regnen.“ Vor der Segnung geht es noch vis-à-vis in den Stephansdom zur gut besuchten Mittagsmesse. „Ich versuche, jeden Tag mindestens eine Messe selber zu halten“, erklärt Faber und eilt durch den Regen zum Seiteneingang des Domes, vorbei an der aus einer Million Cent-Münzen bestehenden Skulptur „Raising Hands“. „Hier haben Gfraster schon wieder Centstücke abgeschlagen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute so deppat sind!“ Ortswechsel: Diesig liegt Wien am Fuße des Cobenzls, wo bei Loungemusik und Ingwerlimonade die VIP-Gäste in Bernd Schlachers neu renoviertem „Weitsicht“ zur Eröffnung eintreffen. Nach Begrüßungen, Plaudereien mit den Angestellten und Selfie-Wünschen ist es auch schon Zeit für die Segnung des Areals, die auf der Terrasse des frisch sanierten Schlosses im typischen Faber-Stil absolviert wird: „Endlich ist das Café Rondell renoviert worden – das war so abgefuckt, dass ich mich vor Gästen fremdgeschämt habe.“ Und mit einem Blick auf den immer stärker werdenden Regen: „Lieber Gott, segne schnell!“
Explosiver Papstbesuch, Cordoba und Applaus nach dem Gebet
Eine Segnung ist keine Rosenkranzstunde, sondern eine Form des Kompliments. Das kann humorvoll vollzogen werden“, erklärt Faber bei der Fahrt retour in die Innenstadt, wo der nächste Termin bereits wartet: Fünf angehende Ministranten aus Göttlesbrunn samt Pfarrer Paul bekommen vom Dompfarrer eine exklusive Tour durch den Stephansdom. Treffpunkt ist beim Modell des Domes auf dem Stephansplatz. Beim Gang zum Haupttor wird Faber von Passanten angesprochen, ein älterer Herr mit Stock bittet um den Segen für sein Taufkind. Gelassen und freundlich kommt Faber jedem Wunsch nach: „Auf der Straße kommen immer Leute zu mir und wollen Segen. Du bist nie außerhalb der Aufmerksamkeit. Du bist immer erreichbar.“ Bereut hat er das Aufgeben seines Privatlebens nie. „Ich habe einmal für Ö3 einen Lügendetektortest gemacht. Bei der Frage ‚Hast du nie daran gedacht, am Sonntag freizuhaben und im Kaffeehaus zu sitzen?‘, sag ich Nein – und da schlägt es aus! Ich war kurz vorher mit Freunden auf Urlaub und bin erstmals an einem Sonntagvormittag im Kaffeehaus gesessen und habe mir gedacht: Das ist eigentlich auch schön.“ Die Göttlesbrunner Kinder sind ebenso begeistert bei der Führung dabei wie ihre erwachsenen Begleitpersonen. Nach einem Kerzerl-Anzünden und der Besichtigung der Kanzel mit ihren beißenden Kröten, Eidechsen und dem „Hündchen ohne Furcht“ geht es hinter den Hochaltar. „Hier wird der Weihrauch erhitzt – der Ofen ist uns ausgerechnet explodiert, als der Papst zu Besuch war! Das gab eine Aufregung bei den Sicherheitsleuten“, lacht Faber und geleitet die Besucher am Tabernakel vorbei zu einer unauffälligen Türe. Die Ankündigung „Jetzt gehen wir in den Himmel“ scheint angesichts der 120 Stufen hinter der Holztüre nicht übertrieben. Belohnt werden die Kinder mit einem eindrucksvollen Spaziergang durch die Regenrinne rund um das Dach mit den bunt glasierten Dachziegeln des Steffls. Auch im hoch aufragenden Dachboden samt Zugang zur Pummerin macht sich Begeisterung breit. „Als die EM 2008 in Wien stattgefunden hat, habe ich versprochen, die Pummerin zu läuten, wenn Österreich Deutschland wie in Cordoba besiegt. Das ist dann aber leider nicht passiert.“ Kaum sind die Kinder verabschiedet, geht es auch schon weiter zum letzten Termin des Tages. Mit „WineAid“ im Hotel Stefanie steht ein Charity-Dinner samt Versteigerung zugunsten beeinträchtigter Kinder auf dem Programm. Auch hier wird Faber bereits beim Eintreten angesprochen, schlendert durch das noble Ambiente und begrüßt elegant gekleidete Ehrengäste ebenso wie die Angestellten. Mit weißer Stola geht es dann ans Pult zur Weinsegnung. Nach einer Rede über Zuversicht lädt der Pfarrer zu einem gemeinsamen Vaterunser ein. Nach dem Amen brandet Applaus auf. „Ich bin zu hundert Prozent Dompfarrer – aber nicht um jeden Preis. Als letztes Jahr das Edikt gekommen ist, dass es denkunmöglich sei, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, war meine erste Reaktion: Wenn ich gezwungen werde, die homosexuellen Paare mit einem nassen Fetzen hinauszutreiben, dann machts euch das selber“, erklärt Faber und verschwindet gegen 23 Uhr in die Regennacht – flott, denn in acht Stunden läutet bereits wieder der Wecker.
„Ich bin authentisch, möchte in keinem Interview lügen müssen. Das habe ich nicht notwendig.“
Toni Faber
Anton „Toni“ Faber wurde am 18. März 1962 in Wien geboren. Bereits als Kind als Ministrant tätig, trat der Liesinger nach dem Gymnasium in das Wiener Priesterseminar ein und studierte Theologie. 1988 wurde Faber zum Priester geweiht, 1997 zum Dompfarrer von St. Stephan ernannt. Nach und nach holte Faber mit seinen modernen Ansichten die katholische Kirche in Österreich in die Gegenwart. Wie sehr der Dompfarrer bei den Wienern gefragt ist, zeigt ein Blick auf sein Arbeitspensum: Rund achtzig Taufen, fünfzig Hochzeiten, siebzig Begräbnisse und hundertfünfzig Eröffnungen werden pro Jahr von Toni Faber durchgeführt.